Die dreiste Glosse< Zurück 24.01.2011

Black Swan: Perfektes Recycling

Von Max Werschitz

Dass Darren Aronofsky ein Faible dafür hat den Verfall seiner ProtagonistInnen gnadenlos und meisterhaft durchzuchoreographieren hat er schon mit 'Pi' und 'Requiem for a Dream' bewiesen. Mit 'Black Swan' packt er sogar noch klassischen Stoff in einen modernen Psychothriller und erteilt dem Leichenfledder-Kino eine lange fällige Lektion.

Der knallharte Choreograph Thomas Leroy (Vincent Cassel) plant die neue Saison seines New Yorker Balettensembles mit Schwanensee zu beginnen, und dem schon etwas ausgelutschten Stück dabei gleich ordentlich Feuer unter dem Hintern zu machen. Passend dazu setzt er den der bisherigen Prima Ballerina Beth Macintyre (Winona Ryder) auf die Straße und macht sich daran einen neuen Star aufzubauen – Nina Sayers (sensationell: Natalie Portman), die bisher zwar durch tänzerische Perfektion, aber nicht gerade Leidenschaftlichkeit aufgefallen ist, eine Eigenschaft die für die (Doppel)rolle des (weißen und) schwarzen Schwans von zwingender Notwendigkeit ist. Doch Nina will es schaffen. Ihr krampfhafter Ehrgeiz, ebenso wie ihr fragiles Selbstbewusstsein, wird dabei stark von ihrer managerhaften Mutter Erica (Barbara Hershey) geprägt, einer ehemaligen Tänzerin die ihre sogenannte Karriere für ihre Tochter aufgegeben hatte. Je weiter die Proben unter Leroys eiserner Führung voranschreiten, und je verzweifelter Nina versucht sich auf der Bühne in den bösen schwarzen Schwan zu verwandeln, desto mehr driftet auch ihr echtes Leben in einen von Wahnvorstellungen gespickten Transformationsprozess.

Mir schwant Übles

Wer kennt sie nicht: die amerikanischen Filme die klassische Geschichten, vorzugsweise von Shakespeare, hervorkramen um sie, vorzugsweise mit gerade angesagten Jungstars, in das Gewand der Gegenwart zu packen. Das kann super funktionieren (Baz Luhrman's Romeo & Juliet, 1996), oder zumindest ganz nett sein (10 Things I Hate About You, 1999), oder dann doch wieder ziemlich überflüssig (O, 2001). Warum also nicht auch mal Schwanensee in Form einer modernen romantischen Tragödie? Prinz Siegfried als fescher Börsenmillionärssohn (Shia LaBeouf), das Schwanenmädchen Odette als schüchternes hübsches Mädl von nebenan (Vanessa Hudgens), eine flittchenhafte geldgierige Zwillingsschwester als Odile dazu, das Ganze im verzaubernden Lichterschein von Las Vegas, und fertig ist der Sommerschlager.

Spieglein Spieglein an der Wand...Gottseidank gibt es Regisseure wie Darren Aronofsky. Er hat meiner Meinung nach soeben eine frischere und vor allem intelligentere Methode gefunden diese Art des Recyclings zu betreiben. Denn was Black Swan im Grunde macht ist die altbekannte Geschichte aus Schwanensee zu erzählen, dies jedoch auf zwei sich immer wieder raffiniert spiegelnden und kommentierenden Ebenen. (Literaturwissenschaftler nennen diese Struktur "mise en abyme", und mein ehemaliger Professor würde mir jetzt wohlwollend auf die Schulter klopfen).

Da ist einerseits die Baletthandlung selbst, die Aronofsky in virtuos inszenierten Szenen dem sonst wohl weniger tanzkunstaffinen Kinopublikum scheibchenweise serviert; andererseits die Rahmenhandlung rund um Nina Sayers echtes Leben das sich immer stärker in das auf der Bühne zu verwandeln scheint. Dort ist es der schwarze Schwan der dem weißen den geliebten Prinzen rauben will, in Ninas zunehmend getrübter Wirklichkeit ist es ihre Kollegin Lily (Mila Kunis) die ihr die geliebte Hauptrolle zu entreissen droht. Der Wahnsinn nimmt zu, die Welten beginnen zu verschmelzen, bis nicht mehr klar ist was das Gespiegelte und was das Original, was gespielt und was real ist – wunderbar illustriert in einer visuellen Schlüsselszene in der Nina sich zwischen zwei Spiegeln gefangen, und von unendlich vielen Spiegelbildern bedroht sieht.

Mein lieber Schwan!

Black Swan präsentiert, wie schon aus Shakespeares Zeiten bekannt, gewissermaßen ein Stück in einem Stück, treibt dieses Konzept jedoch in Form eines exakt durchkomponierten surrealen Psychothrillers bis zum Äußersten. In beiden Welten steigert sich die Verzweiflung der jeweiligen Protagonistin bis zum unvermeidlichen Ausgang. Was beiden bleibt ist kompromisslose Perfektion – die perfekte, weil einzig mögliche Freiheit für Odette, der perfekte, weil einzige Auftritt für Nina.

Und was uns allen bleibt ist ein perfekter Film. Das Erstaunliche an Black Swan ist nämlich dass man trotz der geballten Ladung Wahnsinn und Tragik mit einer gewissen Befriedigung das Kino verlässt. (Und damit meine ich jetzt nicht nur die Nacktszenen zwischen Portman und Kunis). Aronofsky erzählt, wie schon bei Pi und Requiem for a Dream, eine Geschichte die so endet wie sie eben enden muss – und genau darin ihre Erfüllung, für Regisseur und Zuseher, findet.

Und jetzt regt euch bitte nicht auf dass ich euch mit diesem Artikel gespoilert habe: Wenn ihr euch das nächste Mal ein echtes Ballet anseht sitzt ihr ja auch mit einem brav durchgeblätterten Programmheftl im Plüschsessel.

Trailer

Auf einen Blick

  • Jahr: 2010
  • Länge: 103 min
  • Regie: Darren Aronofsky
  • Drehbuch: Andres Heinz, Mark Heyman
  • Darsteller: Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis, Barbara Hershey, Winona Ryder
  • Webseite

Fazit

Meine Wertung:

 

Der dreiste kleine Kinomo

Filme gehören besprochen. Kinomo! Du fängst an!