Review< Zurück 27.12.2009
Von Max Werschitz
Kaum zu glauben, aber das Jahr 2009 kann gerade noch rechtzeitig einen größeren Sci-Fi-Blockbuster als 'Star Trek' bieten: James Camerons 'Avatar' hat es endlich in die Kinos geschafft. Also: einfach mal blau machen, die 3D-Brille schnappen und ab gehts in die mysteriöse Dschungelwelt von Pandora.
Um es gleich zu Beginn auf den Punkt zu bringen: Avatar ist im Grunde genommen kein Film, Avatar ist ein Erlebnis. Ein fast dreistündiges Erlebnis an dem James Cameron (seines Zeichens Autor, Regisseur und Produzent) bereits seit 1994 arbeitete und für das er nicht nur bereit war geduldig auf den Fortschritt der nötigen Filmtechnik zu warten, sondern auch gleich selbst neue Technologien (mit)entwickelte. "You're not in Kansas anymore" trifft somit für den Protagonisten Jake Sully, als er im Jahr 2154 auf dem fernen Dschungelmond Pandora eintrifft, ebenso zu wie für jeden Kinobesucher der mit einer 3D-Brille ausgestattet den Kinosaal, idealerweise in einem IMAX, betritt.
Die Handlung ist – Pocahontas, Der mit dem Wolf tanzt und co lassen grüßen – eine Mischung von eigentlich altbekannten Motiven aus Literatur und Film und in den Grundzügen schnell erzählt: Die Menschen bauen auf Pandora ein wertvolles Metall ab und schrecken im Zuge dessen auch nicht davor zurück die Existenzgrundlage eines lokalen Stammes der Ureinwohner, genannt Na'vi, zu zerstören. Der eigentlich an den Rollstuhl gefesselte Ex-Marine Sully (Sam Worthington) soll diese in Gestalt seines Avatars – Avatare sind künstlich gezüchtete, durch Gedankenkontrolle eher "erlebte" als "ferngesteuerte" Körper die wie die Na'vi aussehen – ausspionieren. Er verliebt sich nach mehrmonatigem Zusammenleben jedoch in die Kultur der Na'vi im Allgemeinen und die Tochter des Stammesführers, Neytiri (Zoe Saldana) im Speziellen und beschließt mit ihnen gegen die zerstörungswütigen Menschen zu kämpfen.
Was Avatar zum Erlebnis macht ist weniger die (handwerklich solide erzählte) Geschichte als das fast schon hypnotisierende Eintauchen in die von Cameron bis ins kleinste Detail durchdachte, den Zuseher uneingeschränkt in den Bann ziehende Welt von Pandora, und vor allem die damit einhergehende Lebensweise und -weisheit der Na'vi. Die Special Effects sind dabei, so bahnbrechend sie im technischen Sinn auch sein mögen, genau das was sie bei einem guten Science Fiction Film auch sein sollten: ein Mittel zum Zweck. Beziehungsweise dienen sie, um Mary Poppins zu zitieren, einem altbekannten Trick: "A spoonful of sugar makes the medicine go down". Denn das Wichtigste bei Avatar, und man merkt schnell dass dies James Cameron ein Hauptanliegen war, ist nicht die visuelle Opulenz oder die atemberaubende Action – der wahre Wert des Films liegt in seiner Botschaft.
Während vor allem der Trailer, aber auch die oben vereinfacht umrissene Handlung, hauptsächlich die "Kolonialmacht VS Ureinwohner"-Thematik anspricht, offenbart sich im Laufe der Geschichte dass es um noch mehr geht: Avatar ist in meinen Augen nichts Geringeres als eine schallende Ohrfeige ins Gesicht des modernen Menschen. Denn die Na'vi leben genau so wie wir es eigentlich auch sollten, wenn wir unsere Existenz auf der Erde noch retten wollen: in Einklang mit der Natur. Und sie tun das nicht auf einer, wie im Film von Dr. Augustine (Sigourney Weaver) selbst betont wird, "Hokuspokus"-Ebene, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Sie können tatsächlich eine sowohl mentale als auch physische Verbindung zu Tieren und Pflanzen herstellen, und sind Teil eines perfekt ausbalancierten lebendigen Gesamtsystems das den gesamten Mond umspannt.
Die Na'vi machen Avatar zu mehr als einem Science Fiction-Blockbuster: Camerons jüngstes Werk ist für mich eine ausgeklügelte Parabel die die großen Probleme unserer Zeit auf den Punkt bringt. So wie Michael Moore nach eigener Aussage Capitalism: A Love Story insgeheim hauptsächlich für Barack Obama gemacht hat, so hätte Avatar eigentlich zwangsmäßig den Verhandlern des gerade eben gescheiterten Kopenhagen-Klimagipfels vor den Latz geknallt werden sollen. Denn auch wenn wir nicht mit Flugechsen und Bäumen reden können: ebenso wie die Na'vi leben wir auf einem Planeten der ein ökologisches Gesamtsystem darstellt, ein System das keine nationalen Grenzen kennt und in dem wir uns vor allem nirgends vor unseren Taten verstecken können. Die Menschen in Avatar haben die Erde offensichtlich bereits erfolgreich zugrunde gerichtet und finden auf Pandora zynisch einen Weg den Wahnsinn fortzusetzen, bis sie – allen voran Jake Sully – plötzlich mit einer Gesellschaft konfrontiert werden die den einzig richtigen Weg beschritten hat.
Avatar ist in gewissem Sinne ein raffiniert verpacktes Öko-Epos, ein Blick in eine kunterbunte ideale Welt und gleichzeitig die rabenschwarze Seele der Menschheit. Und Cameron ist ein bewundernswerter Spagat gelungen: ein stellenweise romantischer, manchmal witziger, aber stets ernsthaft durchdachter Science Fiction/Action-Knaller mit einer Botschaft.
Meine Empfehlung zum Schluss: am besten in Kombination mit der großartigen Dokumentation Home anschauen.
Meine Wertung: |
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