Die dreiste Glosse (mit Film)< Zurück 19.12.2010

The war you don't see

Von Nick Gruber

Wenn man eine Fehlinformation nur oft genug weitererzählt, wird sie irgendwann wahr. Dok-Film-Legende John Pilger geht dem Phänomen 24 Stunden TV-News auf den Grund - und spricht dazu auch mit Wikileaker Julian Assange.

Was ist eine Echokammer? Die wenigen die mit diesem Begriff etwas konkretes verbinden, werden vielleicht an digitale Klangerzeugung denken - an ein Gerät mit dem künstlich Nachhall erzeugt wird. Im Englischen als 'echo chamber' weitaus geläufiger, wird dieser Begriff heutzutage herangezogen, um die Funktionsweise eines 24h TV Nachrichtenapparats zu beschreiben - und da passt dieser Vergleich sogar erstaunlich gut. Wie es soweit kommen konnte erklärt John Pilger in seiner neuesten Dokumentation, The war you don't see. Die Kurzfassung: Unredigierter, ungefilterter Krieg ist schlechte Unterhaltung. Was man gezeigt bekommt stellt meist nur noch ein verklärtes Echo der Realität dar. Der Krieg, als Leistung von der es zu profitieren gilt. Und wie jede Leistung muss auch diese erst einmal verkauft werden.

Du kannst ihn nicht sehen, aber er stinkt bis zum Himmel

John Pilger in 'The war you don't see'In der für Kenner von John Pilger gewohnten Manier, konzentriert sich der Australier auch in diesem Film weniger auf Spekulationen über mögliche Ursachen der Konflikte im Irak und Afghanistan, als auf greifbare Videobeweise für die tatkräftige Geburthilfe die der westlichen Medienappart bei beiden Kriegen geleistet hat. Konkret ist damit das leichtgläubige Weitergeben von fragwürdigen Informationen gemeint - z.B. Colin Powells tiefernste Präsentation der vom CIA aufgestöberten Arsenale an irakischen Biowaffen und Anlagen zur Anreicherung von Uran.

Selbst als die UNO Inspektoren 2003 die Absprerrbänder und Stopschilder noch genau dort vorfanden, wo sie 5 Jahre zuvor angebracht worden waren, war das nicht Grund genug die Angriffspläne abzublasen. Warum? Laut Pilgers Stimmen im Film wurden diese Fakten nicht ihrer Wichtigkeit entsprechend medial durchanalysiert. Sie kamen zu einer ungünstigen Zeit ans Tageslicht - sie waren kontra dem zu diesem Zeitpunkt bereits etablierten 'Narrativ' zum Krieg. Der 'Narrativ' - also die bereits als wahr verkaufe Erzählung die man als braver Journalist hegen und pflegen muss. Was ging noch verloren? Zumindest 650.000 Iraker und Colin Powells Glaubwürdigkeit.

Als der Krieg dann losging, wurden die Journalisten auch fürstlich mit Informationen bewirtet - vor allem während ihrer Zeit als personifizerte Handycam der Truppe. Denn als eingebetteter Journalist nimmt man in Kauf, dass jene Instanz die es zu hinterfragen gilt darüber entscheidet, wo man sich aufhält, wie man hinkommt, was man sieht, wann man es sieht - und in vielen Fällen, wie man darüber berichtet. Da sind mal wieder die Füchse für den Hühnerstall verantwortlich.

Wenn da nicht das Wörtchen Wiki wär...

Julian Assange am Cover von Time MagazineMan kann ja auch fast alles relativieren oder schönreden. Richtig schwer tut man sich eigentlich nur mit knallharten Videobeweisen - wie dieses Frühjahr als Wikileaks zum ersten Mal Weltpublikum erreichen konnte. Das unter "Collateral Murder" veröffentlichte Video zeigt den kalten Zynismus, mit der eine US Helikoptercrew eine Gruppe von Zivilisten (darunter auch zwei Kleinkinder) aus sicherer Entfernung gezielt unter Feuer nahm. "Selber Schuld wenn sie ihre Kids zur Schlacht mitnehmen" tönt es am Schluss zufrieden aus den Lautsprechern. Hauptsache gerechtfertigt. Ja, auch selber Schuld wenn der Iraki mit seinem Auge permanent auf die Faust des Soldaten schlägt. 'Waterboarding' ist auch nicht Folter - das sind 'verfeinerte' Verhörtechniken - da verdurstet dir wenigstens keiner. Wir aus dem Westen sind ja nicht die Barbaren dieser Welt.

John Pilger sprang für seinen Landsmann Julian Assange ein, als Geld für dessen Kaution aufgestellt werden musste. Pilger ist auch einer der Journalisten, die noch wirklich verstehen, dass eine Demokratie neben Legislative, Judikative und Exekutive auch einen funktionierenden Medienzirkus braucht, um frei von Korruption zu bleiben. Und dass dieser Kontrollmechanismus auch konzentrierte Macht in der Privatwirtschaft nicht ausschließen darf.

Das Problem ist allseits bekannt: Die großen Medienagglomerate haben durch ihre notorische Umsatzfixierung den Blick für ihren originalen Zweck verloren. Alle nicht zum Kreis der Auserkorenen gehörenden Medien (hüstel "News - Wie gefährlich ist dieser Mann?) stürzen sich auf den Botschafter - nicht auf dessen Enthüllungen. Sie selbst sind dafür verantwortlich, dass die Bürger diesen Kontrast zwischen ihrer Arbeit und jener von Wikileaks so leicht bemerken. Also den Unterschied zwischen unabhängiger Redaktion und Publikation von Informationen und dem rückgratlosen (und dreisterweise als Medienarbeit verkauften) Abtippen von Agenturmeldungen bzw. Abfilmen von Pressesprechern. Ja was ist denn da vertrauenswürdiger? Ein auf Finanzinfusionen aus der Wirtschaft angewiesenes Hochglanz Epistel das einen bezahlten Show-bot beim Absinger der offiziellen Leier zeigt - oder ein spendenfinanziertes Wikileaks deren Veröffentlichungen von anderen spendenfinanzierten Nachrichtenmedien (z.B. democray now oder therealnews.com) aufgegriffen wird. Wer zahlt, schafft an. Fragt Colin Powell.

PS: Den Film gibts in kompletter Länge auf YouTube!

Trailer

Auf einen Blick

  • Jahr: 2010
  • Länge: 100 min
  • Regie: John Pilger
  • Webseite

Fazit

Meine Wertung:

 

Der dreiste kleine Kinomo

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