Review< Zurück 25.03.2011
Von Nick Gruber
Auf dem vergessenen Platz, den Weltmeeren, da herrscht 24 Stunden Schichtbetrieb. Größere Schiffe, mehr Züge, mehr Fracht, weniger Arbeiter, weniger Lohn. All das in einem globalisierten Dokumentarfilm mit österreichischer Beteiligung.
Neun Zehntel des weltweiten Handels passiert über den Seeweg. Wie konnten wir das nur vergessen... Hinter dem Horizont schwimmen 100.000 unsichtbare Containerschiffe, bemannt von 1,5 Millionen unsichtbaren Seeleuten. Seit Jahrzehnten das gleiche (unsichtbare) Bild. Container kommen und gehen - und Zuhause freut sich Mutti über das neue Yueli Bügeleisen aus der Provinz Zhejiang. Oder etwa doch nicht?
Allan Sekula und Noël Burch machen dokumentarischen Katastrophen-Tourismus der anderen Art. Anders deshalb, weil die im Film portraitierten Menschen nicht von Schicksalschlägen seitens Mutter Natur geknechtet wurden, sondern einfach langsam oder schneller unter die Räder der großen Maschinerie gerieten. Das kollektive Kalkül des globalen Geldes beinträchtigte sie in ihren Leben, tiefschürfender und langfristiger als es jede andere Naturgewalt zustandebringen hätte können. Das Meer und seine Rolle ist die vergessene Verbindung zwischen all diesen verschiedenen Geschichten.
Von den letzten Bewohnern der Geisterstadt Doel, die dem wachsenden Hafen von Antwerpen Platz machen müssen, über zwischen Eisen- und Autobahn eingepferchten Bauern in Flandern, zu den zahlenmäßig stark dezimierten Dockarbeitern in Rotterdam, welche unter Einsamkeit beim ferngesteuerten Heben und Setzen der Container leiden. Ihre Gemeinsamkeit? Sie fielen Infrastrukturprojekten zum Opfer, deren Nutzen auch ökonomisch alles andere als bewiesen ist.
Weiter auf zu Latino Fernfahrern in den USA, die nun zwar endlich ihr eigener Boss sein dürfen (Standard Ich-AG mit Postkastl und Faxgerät), aber nach Abzug aller Kosten auf einem Stundenlohn von $3.96 sitzen bleiben. Ihre Alternative? Trailerparks oder Zeltsiedlungen für Obdachlose. Ehemals stolze Amerikaner, die sich den Hintern abfrieren obwohl im Land mehr Häuser leerstehen als jemals zuvor. Auf nach China, wo die internationale Konzernschaft wie auch die hauseigene Regierung der wachsenden Arbeiterbewegung Klötze zwischen die Beine wirft. Kein Wunder - es war ja schon so aufwändig die Produktion vom Westen in den fernen Osten zu verlagern. Ja, wer soll denn das bitte alles zahlen....
Abseits des poetisch anmutenden Sprechertexts treten die Filmemacher selbst nicht in den Vordergrund, sondern lassen die betroffenen Leute erzählen. Die aneinandermontierten Lebensbeschreibungen sind herzzerreißend - den Zuschauer erwarten YouTube-esque Jumpcuts zwischen einem verbalen Schwinger und dem nächsten. Allen, die nicht mehr so recht an das alte Diktum vom heilen Westen glauben können, wird sich da halt unweigerlich der Magen zusammenziehen.
Für alle anderen die mit ihrer Meinung zur Globalisierung immer noch im Relativismus der 90er Jahre gefangen sind, bereiten Allan Sekula und Noël Burch in The Forgotten Space ein sehr breitgefächtertes Update auf 2011. Auf sehr menschennahe Weise wird Globalisierung in der Praxis eingefangen. Ihre Tendenz ist offensichtlich und das Tempo bricht Hälse. The Forgotten Space wird im Moment in eine deutsche Fassung gebracht (Sprecherin: Nina Hagen) und soll im Herbst in die Kinos kommen.
Meine Wertung: |
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