Review< Zurück 09.08.2012
Von Max Werschitz
Das (2006 von Disney gekaufte) Animationsstudio Pixar, aus dessen digitaler Schmiede 'Merida' (Originaltitel 'Brave') stammt, ist allseits bekannt für Bahnbrechendes (z.B. erster computeranimierter Spielfilm: Toy Story, 1995) und Preisgekröntes (satte 26 Oscars für die 13 bisher produzierten Filme). Entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr neuestes Werk.
Da schaut Robin Hood blass dagegen aus.
Und tatsächlich, wieder gibt es ein paar (Pixar-interne) Pionierschritte: erste "Hauptdarstellerin", erstes Märchen, erstes Mal dass das verwendete Computeranimationssystem komplett neu geschrieben wurde um die komplexen Visualisierungen zu ermöglichen.
Aber worum geht es eigentlich? Auch im Schottland des 10. Jahrhunderts hatten es Teenies nicht gerade leicht: Merida (gesprochen von Kelly Mcdonald) ist die Erstgeborene des Clan-Königs Fergus (Billy Connolly) und dessen Frau Elinor (Emma Thompson). Während der Vater ein gutmütiger Klotz ist der das rotgelockte Töchterlein gerne in ihrem Freiheitsdrang unterstützt, schnürt die Mutter sie vorsorglich in das enge Korsett der prinzessigen Verpflichtungen. Schön sprechen, schön aussehen, schön brav sein – eben alles was eine zukünftige Thronfolgerin so können muss. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern eher liebevoll insistierender Pflichttreue, und Merida macht auch so gut sie kann mit. Ihre wahre Bestimmung liegt nämlich ganz woanders: Hindernisreiten, Bogenschießen, Felsenklettern, und beim Abendessen auch mal ordentlich reinhauen (eigentlich eh kein Wunder, bei dem Kalorienverbrauch tagsüber).
Doch damit soll nun endgültig Schluß sein. Drei befreundete Clan(chef)s werden eingeladen um den jeweils ältesten Sohn in einem Turnier antreten zu lassen, als Preis winkt nichts Geringeres als die Hand der Prinzessin. Entsprechend handfest ist dann auch der Streit zwischen Mutter und Tochter, letztere flüchtet verzweifelt aus der Burg, und stößt tief im Wald auf ein Hexenhaus, äh, die Niederlassung einer lokalen Kunstschnitzerin (Julie Walters). Dieser kauft Merida schließlich ein verzaubertes Törtchen ab: sobald ihre Mutter es isst wird "sie sich verändern" und Meridas Problem ist gelöst – so glaubt sie. Die versprochene Veränderung ist jedoch etwas haariger als erhofft, und stürzt nicht nur die Mutter-Tochter-Beziehung, sondern auch das gesamte Königreich endgültig in eine lebensbedrohliche Krise …
Hurra, eine starker weiblicher Hauptcharakter in einem Disney-Film! Nun gut, das ist eigentlich nichts Neues – schon Arielle war eine mutige kleine Rebellin, Rapunzel verföhnte, äh, vermöbelte ihren späteren Verehrer erst mal nach Strich und Faden, und Mulan zog für ihre Familie sogar in den Krieg. Absolut neu und äußerst erfrischend an Merida ist also nicht die Präsenz einer interessanten Frauenrolle, sondern die Absenz eines männlichen Gegenparts. Es gibt keinen Traumprinzen der auf sie wartet. Es ist keine love story. Es ist auf weite Strecken eine emotional fesselnde Mutter-Tochter-Geschichte, und damit einer von wenigen Mainstream-Filmen der den Bechdel-Test (das Video von 'Feminist Frequency' Anita Sarkeesian ist wirklich empfehlenswert) mit Bravour besteht: 1) Es spielen mindestens zwei Frauen mit die sich 2) miteinander unterhalten und zwar 3) über etwas Anderes als einen Mann. Klingt eigentlich unglaublich, aber wenn man sich näher damit beschäftigt kommt man drauf dass es, vor allem in Hollywood, sehr viele Filme gibt die das nicht mal annähernd schaffen.
Noch unglaublicher fand ich die Diskussion die im Internet rund um Film entbrannte. Plötzlich schien für diverse JournalistInnen, wohl auf der Jagd nach der sensationellsten Schlagzeile ("First gay Disney princess?"), die wichtigste Frage zu sein ob Merida denn lesbisch wäre. Was für ein trauriger Spiegel unserer immer noch großteils rückständigen Gesellschaft. Nur weil ein Mädchen körperlich aktiv ist und sich (noch) nicht für Männer interessiert bedeutet das noch lange nicht dass sie lesbisch ist. Und selbst wenn sie es wäre, so what? Mehr sollte es dazu eigentlich nicht zu sagen geben.
Merida mag also eine außergewöhnliche, für manche sogar 'kontroverse', Protagonistin haben – er ist jedoch im Kern immer noch ein klassischer Abenteuerfilm mit viel Witz, Herz und vor allem Moral, eben ganz so wie wir es von (Pixar und) Disney gewohnt sind. Dazu gehört natürlich auch die klassische Selbstfindungs-Story: wie so viele animierte HeldInnen vor ihr muss Merida ihren eigenen Weg im Leben finden. Sie lernt dazu, und auch das (kindliche) Kinopublikum geht mit einer positiven Botschaft nach Hause.
Stilistisch und narrativ lehnt er ganz bewusst in Richtung der dunkleren Grimm-Märchen, und nimmt meiner Meinung nach auch Anleihen bei einschlägigen Animés (die "whisps" und der generelle Bezug zu Mystik und Natur erinnerten mich u.a. an Prinzessin Mononoke). Beides trägt jedenfalls zum positiven Gesamteindruck bei. Und auch die visuelle Umsetzung kann sich sehen lassen: viele der Settings erreichen schon beinahe Fotorealismus, und alleine für das Rendering aller Locken von Meridas Wuschelpracht muss wohl eine eigene Serverfarm zur Verfügung gestanden sein.
Fazit: wer sich basierend auf Pixars Ruf die nächste Revolution erwartet hatte wird enttäuscht sein. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Denn ganz wie seine Titelheldin ist der Film erfrischend, mitreißend und überzeugend – eben brave, nicht brav.
Meine Wertung: |
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