Review< Zurück 21.10.2012
Von Teresa Losonc
Sind Menschen a priori gut oder böse? Kann Erziehung alles retten oder besser machen? Müssen wir uns unserem Schicksal ergeben? Diverse Theorien entstanden nach dem Massaker von Aurora oder der Colombine High. Lynne Ramsay zeigt mit ihrer Verfilmung von Lionel Shrivers Roman aus dem Jahr 2003 was passieren kann…
We really need to talk about Kevin.
Der 17jährige Kevin (Ezra Miller) verschließt eines schönen Tages mit Fahrradschlössern die Türen seiner Schule und beginnt von der Empore der Turnhalle aus mit seinem Luxus-Bogen seine MitschülerInnen zu töten. Eva (Tilda Swinton) findet auch zwei Jahre nach dem schrecklichen Blutbad keinen Platz in der ihr feindlich gesonnen Gesellschaft. Sie findet keinen Job, ausser vielleicht ihr zerfallenes Häuschen von Beschmierungen zu reinigen; sie isst alleine, und schläft nach ein paar Flaschen Wein vor dem Fernseher ein. Tagein, tagaus dieselbe Leier. Sie ist die Mutter des treffsicheren Robin Hoods. Sie wird auf der Straße angegriffen und gedemütigt – als wäre sie verantwortlich für die Tragödie. Die Gesellschaft verurteilt sie.
Doch was war eigentlich geschehen? Die Schwangerschaft mit dem kleinen Kevin verändert das Leben von Eva, die erfolgreich und glücklich in Manhattan lebt. Die Geburt ist schwer, der Nachwuchs lässt der jungen Mutter keine Zeit zur Erholung, schreit den ganzen Tag und lässt sich nicht beruhigen. Anders reagiert der Kleine nur auf seinen Vater Franklin (John C. Reilly). Der Junge scheint dämonisches Vergnügen daran zu haben seine Mutter zu quälen. Jeder Versuch von Eva ihrem Kind ihre Gunst zu zeigen (denn von Liebe kann man hier nicht mehr sprechen) wird von ihm abgeschmettert. Boshaftigkeiten sind am Tagesplan und je älter der Spross wird, desto heftiger äußern sie sich.
Im Verlauf des Films sieht man die Beziehung von Mutter und Sohn grotesk gezeichnet. Kevin (Rock Duer als Kleinkind, Jasper Newell als 6-8-Jähriger) strapaziert die geschwächten Nerven der Mutter. Diese war sicher auch nicht besonders glücklich in die Vorstadt zu ziehen und ihren Job aufzugeben. Ihr Kind raubt ihr den Verstand und jede Lebenslust, spielt die Eltern gegeneinander aus. John C. Reilly ist der gutmütige Vater, der gefallen will und der die Erschöpfung seiner Frau nicht versteht. Der kalte Blick Kevins zeugt von keinerlei Emotion, nur reinem Kalkül.
Tilda Swinton (grandios wie immer) sieht man zerfallen – von der glücklichen, adretten Frau mit der kecken Frisur zu einer leeren Hülle, die trotzdem noch irgendwie Energie zum Überleben hat und alle Schmähungen erträgt. Vielleicht wollte sie kein schniekes Familienhaus in der Vorstadt? Eine gute Wahl war auch der eher aus Serien bekannte Ezra Miller (Vielleicht lieber morgen), der sehr überzeugend den Soziopathen gibt.
Da We Need To Talk About Kevin achronologisch aufgebaut ist, verstärkt sich das angespannte Gefühl bis zum Schluss. Dennoch bleibt der Höhepunkt aus. Die Frage nach dem Warum, mit der sie sichtlich kämpft, bleibt schließlich auch den ZuseherInnen. Um trotz allem noch die Rolle der liebenden Mutter zu spielen? Alle Klischees zu erfüllen? Die Schuld des Sohnes auf sich zu nehmen, obwohl er das nicht verdient hat? Der Film ließ mich ängstlich zurück.
Meine Wertung: |
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