Review< Zurück 18.11.2010
Von Max Werschitz
Während Österreich damit ja so seine Probleme hat, ist Deutschland normalerweise äußerst gut darin sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Seit mehr als 6 Jahrzehnten müht man sich in Literatur und Film mit der Bewältigung der Schrecken des Zweiten Weltkriegs ab – und vergisst dabei oft was für Schrecken noch auf uns zukommen könnten. Ganz anders Lars Kraume, der mit 'Die kommenden Tage' nicht nur die Zukunftssorgen seines Heimatlandes, sondern der ganzen westlichen Welt in 130 beklemmende Minuten packt.
Die kommenden Tage verfolgt das Schicksal zweier Schwestern, Laura (Bernadette Heerwagen) und Cecilia Kuper (Johanna Wokalek), sowie ihrer jeweiligen Freunde Hans (Daniel Brühl) und Konstantin (August Diehl), vor dem Hintergrund zahlreicher politischer und sozialer Umwälzungen zwischen 2012 und 2020. Ein Rohstoffkrieg breitet sich von der arabischen Halbinsel bis auf Asien aus, die EU zerfällt, Deutschland mauert sich ein, die Regierungen werden immer militanter und die Protestbewegungen immer gewaltbereiter… Während Laura und Hans ihr Glück in einer Flucht in die Natur und Vater-Mutter-Kind-Idylle suchen, sind die aufrührerischen Cecilia und Konstantin für ihre Überzeugungen sogar bereit sich einer Terrorgruppe anzuschließen.
Gottseidank besteht das deutsche Kino nicht nur aus Schweigers immer hirn-, ich meine natürlich ohrenloser werdenden Hasen und Bullys inzwischen recht zahnlosem Klamauk. Das hat u.a. Hans Weingartner 2004 mit Die fetten Jahre sind vorbei und 2007 mit Free Rainer bewiesen, und dafür sorgt nun im Jahr 2010 Lars Kraume. Der zwar schon mehrfach preisgekrönte aber ansonsten eher unbekannte Drehbuchautor und Regisseur knallt mit Die kommenden Tage ein beeindruckend verstörendes Werk zwischen Familiendrama und "near-future science fiction" auf den Esstisch des Filmpublikums. Und hinterlässt damit einen gewaltigen Kloß im Hals. Seit Lars von Triers Dancer in the Dark bin ich nicht mehr so fertig aus einem Kino gegangen. Ich glaube die letzte halbe Stunde bin ich sowieso nur mehr mit ungläubig aufgerissenem Maul, glotzend wie ein Fisch, vor der Leinwand gesessen – in der Hoffnung auf ein, wenn auch noch so unwahrscheinliches, Happy End. Und als die schmerzlich ambivalente Schlussszene dem Abspann wich trafen mich die behutsam einsetzenden ersten Takte von "Bring mich nach Hause", dem schon im Trailer so effektvoll zum Einsatz gekommenen Lied von Wir sind Helden, wie eine Faust.
Die kommenden Tage mag stellenweise mit etwas zu viel soap opera-Elementen und Pathos getränkt sein, das tut der fast schon zornig kompromisslosen, aber dennoch erschreckend glaubwürdigen Zukunftsvision, und vor allem deren dichter visuellen und narrativen Umsetzung keinen Abbruch. Die hervorragende Leistung der HauptdarstellerInnen trägt das ihrige dazu bei, und besonders beeindruckend ist die Detailverliebtheit Lars Kraumes: mit vielen geschickt platzierten Hintergrundelementen schleicht sich die gesellschaftliche Veränderung, zuerst strikt basierend auf dem was wir heute alles schon kennen bzw erahnen, unaufhaltsam heran. Als Botschaft kann sich dann trotzdem jeder das mit nach Hause nehmen was er will – seine wuchtige Wirkung wird der Film, so wage ich zu behaupten, jedenfalls bei niemandem verfehlen.
Die kommenden Tage ist kein Zuckerschlecken, jedenfalls eher ungeeignet für einen romantischen Tag mit Freundin oder Freund, oder als Auftakt zur Abendgaudi mit den Kumpels. Trotzdem oder gerade deswegen kann ich ihn euch allen nur ans Herz legen, und hoffen dass sich weiterhin deutsche RegisseurInnen trauen härtere Klöße, äh, Kost anzupacken.
Meine Wertung: |
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Filme gehören besprochen. Kinomo! Du fängst an!